Im letzten Sommer berichtete der Berliner Stadtrand-Paranoia-Anzeiger aus Rudow, am südlichen Stadtrand von Berlin. Wir besuchten damals Karl Nachtheimer (Name geändert), 51, der sich von einer Nachtigall terrorisiert fühlte. (karsten.home.blog/2021/06/05/stadtrand-paranoia-eine-reportage)
Nun hat sich Karl Nachtheimer neuerlich an uns gewandt. Seine Schilderungen am Telefon waren sonderbar. Er berichtete, nachdem sich die Belästigung durch die Nachtigall über den Winter gelegt habe, sei ein anderer Störenfried in seinen Garten eingefallen. Dieses Mal einer mit einer schwarzen Maske. Der habe sich in seinen Schuppen eingenistet und krakele den lieben langen Tag lang. Er traue sich gar nicht mehr aus dem Haus, weil der Übeltäter alles im Blick habe und sofort mit seinen Beschimpfungen beginne. Dieser rätselhafte Bericht war uns Anlass genug, Karl Nachtheimer erneut einen Besuch abzustatten.
Zu unserer Überraschung begrüßte uns Karl Nachtheimer alleine. Seine Frau, so erklärte er uns, sei ausgezogen. Sie habe nun endgültig genug vom Garten gehabt, nachdem eine Kröte sie angesprungen habe. Karl Nachtheimer zeigte uns Fotos von der Kröte.



„Jenuch sei zu fille“, habe seine Frau gesagt, bevor sie eine Stadtwohnung bezog. Dem Leser sei hier schon verraten: Es handelt sich um keine Kröte, sondern um einen Grasfrosch. Wir fragten Herrn Nachtheimer, was denn aus dem Kater geworden sei, der im letzten Sommer so sehr unter den Anrufungen der Nachtigall litt. „Erst dacht‘ ick ja, der sei tot.“

„Dann hab‘ ick den sachte anjefasst“, so Karl Nachtheimer weiter, „und wat soll ick sajen? Der war wie toll!“.

„Also nüscht wie weg – ins Irrenhaus! Und nu bin ick alleene mit de Probleme.“ Karl Nachtheimer zeigt uns nun, wo der maskierte Eindringling sich eingenistet hat.


Karl Nachtheimer erklärt uns, es handele sich um ein stillgelegtes Ofenrohr, was aus der Hauswand führt. Dort sollen sich die maskierten Gesellen eingenistet haben. Tatsächlich werden auch der Reporter und der in die Reportage eingebettete Fotograf Zeugen der panoptischen Überwachung des Vogels.





Der maskierte Vogel umkreist uns, fliegt vom Zaun aufs Dach, von dort in die Buche, beobachtet uns vom Stuhl aus und kehrt zurück in die Magnolie. Dann werden wir Zeuge des Ausflugs der Küken.

Johann Friedrich Naumann schreibt: „Die Jungen sind, sobald sie sich fühlen lernen ziemlich scheu und verlassen das Nest sehr bald, sitzen dann auf einem horizontalen Zweige alle nahe beisammen und wedeln schon mit den Schwänzen, wenn diese gleich kaum die Hälfte ihrer Länge erreicht haben, und sie eben erst ausgeflogen sind. (…) und die Alten sind so besorgt um sie, dass jene in den ersten Tagen nach dem Ausfliegen dieser fast nicht ruhig werden, ihr Füid tick tick tick, tickticktick unter beständigem Hin- und Herfliegen, unter zahllosen Bücklingen und mit stetem Schütteln des Schwanzes, wenn sie sich setzen, ausrufen und so ohne ihren Willen jedem Feine die Jungen verraten.“ (Die Vögel Mitteleuropas, Johann Friedrich Naumann, Hrsg.: Arnulf Conradi, Seite 291, 2020).
Also keine Entwarnung für Karl Nachtheimer, denn im Ofenrohr sind noch weitere Junge zu hören. Der Terror wird sich fortsetzen. Mit dieser Aussicht konfrontiert, seufzt Karl Nachtheimer: „Ach, wenn doch meine Frau zurück käme. Wissen se, irgendwie habe ick immer een Problem mit Vögeln. Wat kommt’n nächstes Jahr? Pinguine?“.