Das Leben ist ein Teich – Miles Davis als Wellenreiter

Das Leben ist ein Teich und unser Wirkungskreis begrenzt, so wie auch die Entengrütze nur auf der Oberfläche treiben kann. An manchen Tagen scheint es, als drohe das Leben umzukippen in ein trübes Gewässer.

Kamü, Spreewald

Was geschieht, ist Routine. Und so geschieht nichts. Die Zeit ist ein Tümpel, in dem die Vergangenheit in Blasen nach oben steigt.
(Christoph Ransmeyr – Die Schrecken des Eises und der Finsternis, Seite 166)

Griechenland, 1986

Dieses Foto ist eine Blase aus der Vergangenheit. Die Katze und die Frau auf diesem Foto sind längst tot. Wenn einer der Sohn oder der Besitzer dieser Katze war, überfallen den Betrachter Gedanken und Gefühle, wie sie Michel Houellebecq beschreibt:

Was der nicht ertrug, stellte er besorgt fest, war die Vergänglichkeit an sich; es war die Vorstellung, dass eine Sache, worum immer es sich handeln mochte, endet; was er nicht ertragen konnte, war nichts anderes als eine der wesentlichen Bedingungen des Lebens. (Vernichtung, E-Book Seite 370)

Wesentliche Bestandteile der „Allgemeinen Geschäftsbedingungen“ des Lebens nicht zu akzeptieren, führt zu existenzieller Unruhe, Verzweiflung gewinnt Raum. In der philosophischen Hausapotheke wird als Gegenmittel die Maxime angeboten:
„Demut ist Unverletzbarkeit“ (Marie von Ebner-Eschenbach, Aphorismen, 1982, Seite 47). Zu Risiken und Nebenwirkungen befragen Sie Ihr Antiquariat.

Das Leben vollzieht sich einerseits linear: in einer zeitlich strikten Reihenfolge von Ergeignissen, beginnend mit der Geburt (oder Zeugung) und endet mit dem Tod. Michel Houellebecq:

Das menschliche Leben besteht aus einer Abfolge administrativer und technischer Schwierigkeiten, unterbrochen von medizinischen Problemen; mit dem Alter treten die medizinischen Gesichtspunkte in den Vordergrund. Das Leben ändert so seine Beschaffenheit und beginnt einem Hürdenlauf zu ähneln: Immer häufigere und verschiedenartigere medizinische Untersuchungen sondieren den Zustand der Organe. Sie kommen zu dem Schluss, dass die Lage normal oder zumindest akzeptabel ist, bis eine von ihnen zu einem anderen Urteil kommt. Das Leben ändert so ein zweites Mal seine Beschaffenheit und wird zu einem mehr oder minder langen und schmerzvollen Pfad hin zum Tod. (Vernichtung, E-Book Seite 193)

Andererseits ist unser Bewusstsein zirkulär, es kehrt in den Erinnerung zurück zu einer Vergangenheit und betritt mit seinen Plänen die Zukunft. Die Blasen der Vergangenheit, die an der Oberfläche zerplatzen, erzeugen Wellen. Die Kunst besteht darin, von den Wellen nicht mitgerissen zu werden. Herbie Hancock beschrieb die Art, wie Miles Davis Trompete spielte, es sei, als würde ein Stein über einen Teich hüpfen. „Er berührte nur die Wellen.“ (Herbie Hancock in Miles Davis: The Birth of Cool, Dokumentation auf Netflix).

Rummelsburger Bucht, 08.03.2022

Bei all den Schwierigkeiten, Krisen und Verwerfungen des Lebens bleibt am Ende immer noch der Leit- und Schlusssatz aus Voltaires Candide:

Il faut cultiver notre jardin!

Mai 1981

Oder Ersatzweise, den Balkon oder die Baumscheibe auf der Kiezstraße. Denn dort gelingt es uns zwei Dinge zu finden, die im Segensspruch der Drayaner grundlegend für das Glück sind:

Möge der Tag Dir Frieden bringen und nicht ohne Hoffnung enden. (Raumschiff Voyager, Staffel 2, Episode „Die Unschuld).

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