Katzen Kapitel 2

Diese Serie entstand zwischen 2013 und 2017 auf Pappe im 20×20-Format nach einem einfachen Prinzip: nach einem ersten Entwurf wird die Pappe um 90 oder 180 gedreht und das Motiv noch einmal über die noch feuchte Farbe gemalt. Dadurch entsteht erstens ein Bildhintergrund (zunächst) in den selben Farben und zweitens vermischen sich die Farben in neuen, ungeahnten Nuancen. Wie unter der Überschrift „Katzen“ üblich füge ich einen weiteren Dialog mit dem Kater Camus hinzu.

Buckeljucken

K legt eine CD ein. Alle Regler nach links. Es ertönen die „Manic Street Preachers“. Walisische Rockmusik.
Camus liegt auf dem Sessel. Dreht ein Ohr in die Lehne, das andere drückt er seine Pfote.

Camus (schreit): Was ist denn das für ein Krach!
K: Manic Street Preachers. Eine in diesem Hause bei Deinem Bediensteten sehr angesagte Band aus Britannien.
Camus: Gepriesen sei deine Lektüre der Asterix-Hefte, die auf deinen Sprachstil eine nicht zu überhörende Wirkung haben. Unüberhörbar ist auch dieser Krach. Ich bin müde. Ich habe die halbe Nacht die Gegend patrouilliert und die andere Hälfte dich davon zu überzeugen versucht, mir etwas zu Fressen zu geben. Jetzt habe ich meinen Schlaf nötig. Schalte das ab! Sofort!
K: Ich habe den ganzen Tag gearbeitet und brauche jetzt diesen Stimmungsaufheller. Etwas zum Mitsingen. Das Singen, das wird es bringen.
Camus (zu sich selbst): Jetzt reimt er auch noch.
K: Das war ein Zitat. Robert Gernhardt – Das Mäusegedicht.
Camus: Robert kann mich gern hart haben.
K:
‚Und dräut die Katze noch so sehr
Sie kann uns nicht verschlingen
solange wir unverzagt
von allem, was noch ungesagt
von Lust und Frust
von Frist und List
und dem, was sich sonst noch sagbar ist
nicht schweigen, sondern singen
Das Singen wird es bringen!‘
Camus: Das ist verbale und thematische Umweltverschmutzung. Reines Geschwätz. Ihr Menschen müsst endlich lernen euch kurz und präzise auszudrücken, wie wir unter uns Katzen: ein gezielter Strahl Urin und alles ist gesagt. Bei bedeutenden Themen vergräbt man halt eine Kackwurst. Ansonsten ist man zurückhaltend und geht sich nicht auf den Sack. Kannst Du jetzt die Musik abstellen?
K: Nein! Die Welt ist komplex und zugleich so einfach. Das lässt sich nur in der Poesie abbilden. Deswegen ist Musik so schön, deswegen sind Gedichte so universal.


K spielt Luftgitarre und posiert vor Camus‘ Sessel.

Camus: Und sag mal, dieser Robert Gernehart ist ein Poet?
K: War. Leider schon tot. Hat auch gezeichnet. Ursprünglich liebte er Katzen. In Italien ist ihm aber später im Leben eine Hündin zugelaufen. Seitdem war er Hundefreund.
Camus (schaut schläfrig an die Decke): Ich glaube, das ist der tiefere Sinn des sprichwörtlichen ‚vor die Hunde gehen‘.
K: Was?
Camus: Beides.
K: Wie?
Camus (erhebt sich und macht einen Buckel): Dieser italienische Hundeficker und Dein Gehampel. Ihr könnt mir beide den Buckel herunterrutschen.
K: Woher stammt aber diese Redewendung? (geht zum Bücherschrank und blättert in einem Buch.) Schade, der Ursprung ist nicht geklärt. Heißt aber so viel wie:‘ Lass mich in Ruhe‘.
Camus: Genau. Kannst Du jetzt die Musik ruhig stellen?
K: Nein, denn ich habe einen breiten Buckel. Und glaub gar nicht, dass ich vor dir den Buckel krumm mache. Ich habe so einiges auf dem Buckel und ich brauche mir selbigen nicht freizuhalten!
Camus: Ich glaube Dein Buckel juckt!
K: Den Buckel halte ich Dir hin!
Camus: Ich gehe jetzt. Wir sprechen uns morgen früh. Da haue ich dir den Buckel voll, wenn kein Fressen im Napf ist.

Pissenlit

Ich bin auf die Hundsblume gekommen. Bis heute habe ich sie aus den Beeten gerupft, gedreht, gezerrt und gegraben, weil ich gelernt habe, dass sie dort nichts zu suchen hat. Außerdem verbreitet sie eine Furcht vor der unkontrollierten Vermehrung. Sie auszurotten gelang mir natürlich nicht.
Einen ersten Keil in die Front meines Widerstands war die Beobachtung der beiden Distelfinken, die ich letztes Jahr am Tag des Vogels die Samen abpicken sah. Doch nun hat mich in der allgemeinen Panik vor dem Insekten- und Bienensterbens eine einzelne Biene davon überzeugt, mehr Gelb in meinen Garten zuzulassen (siehe Foto).
Der Löwenzahn blüht früh im Jahr und ist eine wichtige Bienenweide für die Entwicklung der Bienen im Frühjahr. Allerdings muss ein Bienenvolk ca. 100.000mal Löwenzahnblüten besuchen, um daraus ein Kilogramm Honig zu gewinnen (wikipedia). Der Blütenkopf besteht aus etwa 200 Scheibenblüten. Wieviele Samen die Pflanze aus den Blüten produziert, konnte ich noch nicht herausfinden.
Der Wiesenlöwenzahn hat viele Namen. Einige beziehen sich auf die abführende Wirkung der in ihm enthaltenen ätherischen Öle:
Wiesenlöwenzahn, Pusteblume, Butterblume, Kuhblume, Bettseicher, Bettnässer, Bettpisser, Bettschisser, Bettseecher, Bumbein, Bumbaum, Hundeblume, Hundsblume, Kuhblume, Pissblume (Holländisch: pissebloem), Pisser, Pissnelke, Rahmstock, Ringelstock, in Frankreich pissenlit (was ich als „ins Bett urinieren“ übersetzen würde).

oznor

Obwohl oder vielleicht gerade weil der Löwenzahn eine Allerweltspflanze ist, hat er es auch in der Kunst geschafft, sich als Statist in Literatur und Malerei einzuschmuggeln.
Im Aquarell „Das große Rasenstück“ von Albrecht Dürer muss der Betrachter genau hinschauen, denn ein einzelner Löwenzahl mit noch geschlossenem Blütenkorb hat sich zwischen den Gräsern einquartiert.

cof

Auf der Rückseite der 500 DM-Banknote war ab 1992 ein Löwenzahn aus einem Buch von Maria Sibylla Merian von 1679 abgebildet. (Auch das weiß ich nur von wikipedia und werde meinen jährlichen Spendenumfang in diesem Jahr verdoppeln.)
Und schließlich heißt eine Erzählung von Wolfgang Borchert „Die Hundeblume“ und spielt darin der Löwenzahn die Rolle des Symbols für Freiheit.
Wie der Löwenzahn sich so ausbreiten kann? Zum Beispiel

endozoochor (Ausbreitung von Samen durch Tiere über ihre Nahrung),

epizoochor (Ausbreitung durch Anhaften der Samen an Tier und Mensch),

anemochor (Ausbreitung der Samen durch den Wind),

hemerochor (Ausbreitung in Kulturfolge des Menschen) oder

stomatochor (Ausbreitung durch Nahrungseintrag von Ameisen).
Oder durch Kinderspiele wie das Abpusten der Samen – wäre das nicht im engeren Sinne hemerochor? Im Kinderspiel gibt das Wegblasen der Samen Gelegenheit zu allen möglichen Orakeln. Die nach dem Pusten stehengebliebenen Samen (oder so oft man blasen muss, um alle Samen zu entfernen) zeigen an, wieviel Uhr es ist, wieviele Jahre man noch leben wird oder wieviel Jahre man noch zur Hochzeit hat. Wenn man die Samen auf einmal wegblasen kann, bekommt man ein neues Kleid oder gibt es zu Hause eine gute Suppe. So viele Früchte an den Kleidern des Angeblasenen hängen bleiben, so viele Sünden hat er (Quelle: www.sagen.at). Ich werde demnächst mal meine Frau anblasen.
Nach dem Kinderglauben darf man den Löwenzahn nicht mit nach Hause nehmen, sonst pisst man sich ins Bett (ebd.), womit sich hier ein Kreis schließt. Bleibt mir, die Samen eines reifen Löwenzahns per Hand auszuzählen, um zu Ermessen, wieviele Sünden überhaupt möglich sind. Vielleicht ist mein Konto ja schon überzogen.

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

Nebenwege ins Jenseits und verlassen geglaubte Orte

Ein jeder hat seine Vorstellungen vom Jenseits, von hoffnungsvoll bis nihilistisch. Ich habe seit Wochen eine neue Idee für meine Hoffnung auf eine Existenz nach dem Tod entwickelt, oder besser, sie ist in mir geweckt worden von einem Lied, das sich auf der CD der Jayhawks befindet, die letztes Jahr erschienen und mit „Back Roads And Abandoned Places“ betitelt ist.
Einen der Songs hat Gary Louris zusammen mit Jakob Dylan geschrieben. Der Text rechnet mit der Vorstellung von einem lichten Jenseits ab:

„Well you think there’s a place wide open and white
Where you think you’ll be safe where you think there’s a light -[aber]-
There’s gonna be a darkness
Maybe colder than you guessed
There may not be music, there may not be stairs
There may not be angels filling the air
Your mother may be there
Your father may be there
There may not be voices sent from a throne
To carry you home“
(Gonna be a darkness von Jakob Dylan und Gary Louris)

Am eindringlichsten war mir auf Grund des Textes das Tryptichon „Das jüngste Gericht“ von Hans Memling in Erinnerung, das in Danzig im Nationalmuseum anzusehen ist (unbedingt merken!). Auf der linken Seite des Bildes sieht man die Menschen, für die der Himmel Einlass gewährt, von Engeln begleitet eine Treppe emporsteigen, worauf der Text eben auch verneinend Bezug nimmt.
Was dem Betrachter nicht geschildert wird: Wie sieht es denn im Himmel nun aus, was geht dort vor sich, wird es dort helllichtig sein, wen wird man antreffen?
Dylan und Louris prophezeien in ihrem Text, dass es weit dunkler sein wird, als wir uns vorstellen konnten. Jedoch werden vielleicht die Eltern im Jenseits warten. Wer weiß, ob das Wiedersehen ein freudiges wäre, hat doch vielleicht die Zeit uns von ihnen entfremdet. Werden wir uns vor Ihnen rechtfertigen müssen für unser Leben, das sie nicht billigen und schon lange darauf warten, ihre Missbilligung loszuwerden?
Gehört habe ich das Lied oft auf den morgendlichen Fahrten ins Büro, als es morgens noch dunkel war. Das könnte der Grund sein, warum ich mich, die Zeilen „your mother may be there, your father may be there“ hörend, in mein erstes eigenes Kinderzimmer versetzt sah. Als Erwachsener habe ich selten an mein Kinderzimmer gedacht, und wenn, dann an die Enge, an Lego, meine ACDC-Schallplatte, den Universum-Kassettenrecorder und die Flugzeug und Panzermodelle, die ich gebastelt habe. Dann noch an den kleinen schwarz-weiß Fernseher, in dem ich „Michel aus Lönneberga“ gesehen habe, während ich Weihnachtsgeschenke bastelte. An die Kränkung, als meine Weihnachtsgeschenke nicht so positiv gewürdigt wurden, wie ich mir das erhofft hatte. Mit anderen Worten: Ich war immer froh, dem Kinderzimmer entronnen zu seien, und genug Geld zu haben, um nicht mehr auf Brotpapier abgepauste Elefantenbilder verschenken zu müssen, die keiner haben will. Und doch stellte sich in der Erinnerung an mein Kinderzimmer im Zusammenhang mit dem Lied ein Gefühl ein, das in so einer Reinheit im Erwachsenenleben kaum mehr vorkommt: Geborgenheit.
Das ist meine neue Vorstellung von einem Leben nach dem Tod. Ich hoffe, meine Eltern klopfen nicht an die Tür und verlangen, dass ich das Zimmer aufräume.

Bücher vollkritzeln- Heine hat es auch getan!

Seit Anfang des Jahres versuche ich, meine hauseigene Bibliothek zu reduzieren. Auf die Regale schauend hatte ich mich selbst beobachtet und bemerkt, dass ich die Vielzahl der Bücher als Last empfinde – in viel zu viele hatte ich seit Jahren nicht hineingeschaut. Es war, als schaute man auf eine Wand mit Fotos aus einem anderen Lebensabschnitt und stellte fest: Das bin nicht mehr Ich, das ist Vergangenheit. Seltsam, wie unbedeutend das Vergangene werden kann. Nun ragte diese Vergangenheit in meine Gegenwart wie ein Ast, über den man ständig stolpert.

Ich begann zu sortieren. Dann ließ ich mich auf momox ein. Die Preise, die mir momox bot, standen im antiproportionalen Verhältnis zum empfunden Gewicht der Bücher. Die von mir als unbedeutend empfundene Vergangenheit spiegelte sich in unbedeutenden Ankaufspreisen wider. Um mich wenigstens eines Teilballasts zu entledigen, schickte ich mehrere Kilo Bücher in den Rachen des Marktführers für gebrauchte Medien im Internet. Nur was sollte mit den Büchern geschehen, die momox gar nicht mehr annimmt, weil es davon zu viele gibt. Und was mit denen, die keine ISBN-Nummer haben, die antiquarischen Bibeln, Werke der Philosophie, der geerbten Romane, die momox nicht verarbeiten kann mit dem Algorithmus aus ISBN-Nummer und Nachfrageklicks? (Mehr über momox auf sueddeutsche.de)

Der Ausweg heißt booklooker. Doch es ist ein beschwerlicher, weil ich nun die Preis selbst recherchieren, die Daten der Bücher selbst eingeben und Fotos machen muss. Mit momox waren die Bücher ratzfatz abgeklickt, eingepackt und weggeschickt, zehn Tage später das Geld auf dem Konto. Nun muss ich meine Vergangenheit in die Hand nehmen, sie drehen und wenden, neu kennenlernen. Inwischen habe ich 20 Bücher verkauft und noch weitere 170 im Angebot. Ich freue mich über jedes Buch, das einen neuen Besitzer findet, dessen Namen ich kenne. Ich fühle mich wie ein antiqarischer Buchhändler.

Aber es ist belastend. Viele meiner Angebote werden über die Monate gar nicht angeklickt. Bei der Recherche finde ich immer wieder Angebote auf booklooker, die dort seit 10 Jahren eingestellt sind und kaum Besucher fanden. Einsame Bücher. Für einige meiner Bücher gibt es lange Listen von Angeboten. Auf booklooker kann man sich alle Taschenbuchangebote für weniger als 1 Euro anschauen. Es sind 100.000. Ich habe mir die ersten Seiten angeschaut und mich erschütterte, dass ich kaum ein Buch davon kannte oder je davon gehört hatte. Ich bekam eine Ahnung davon, wieviele Bücher in der Welt sind, wie viel Text es gibt, der zum größten Teil nur vorübergehend eine Bedeutung hat.

Ich erinnere mich an einen Gedanken von Seneca, den ich hier aus meinem Reclam-Heft abschreibe: „Wozu unzählige Bücher und Büchersammlungen, von denen der Besitzer in seinem ganzen Leben kaum die Titelverzeichnisse liest? Die Masse ist für’s Lernen lästig, nicht fördernd; viel nützlicher ist es, mit wenigen Schriftstellern sich eingängig zu beschäftigen, als viele durchzublättern.“ (Seneca – Über die Gemütsruhe).

Am besten mir diese Beschäftigung, in dem ich den Text mit einem Stift und eigenen Gedanken bearbeite. So finde ich nach Jahren problemlos den Wiedereinstieg. Verkaufen lässt sich das Buch danach aber schlecht. Aber warum denn? Was unterscheidet den unberührten Text von dem augenscheinlich schon einmal gelesenen? Es ist der Text des Lesers, der zu dem Text des Autors hinzutritt, eine Stimme, die sich in den Dialog zwischen Zweitleser und Text als Hintergrundrauschen drängt. Positiv gewendet entsteht ein Trialog (laut Duden-Internetseite: „Erfahrungsaustausch zwischen Fachleuten, Angehörigen und Personen mit Psychiatrieerfahrung in Diskussionsforen“). Bei einem Auto ist es uns meistens egal, ob wir Erstbesitzer sind. Es ist ja auch eine Frage des Anschaffungspreises. Beim Buch allerdings auch. Warum also nicht das Buch heftig bearbeiten, ihm zu Leibe rücken wie einem Geliebten.

David Foster Wallace zum Beispiel hat so viel an die Ränder und Vorblätter seiner Lektüren geschrieben, dass er die Texte quasi überschrieb. Und keine Angst: auch große Geister haben Eselsohren verwendet (Heinrich Heine) oder ein N.B. an den Rand geschrieben (Sören Kierkegaard).

Auf meinem E-Book fällt mir die Arbeit am Text schwer. Das Kritzeln an den Seitenrand entfällt und bevor ich die Textstelle mit einem Finger markiert habe, verliere ich die Nerven und die Lust, weil die Maschine meine Bewegung nur schwer umzusetzen versteht. Mal ist die Markierung zu lang, mal zu kurz. Der Vorteil ist jedoch ein Verzeichnis meiner Markierungen, die leider chronologisch ist und sich nicht systematisieren lässt.

Unsere Lesekultur verändert sich. Das hat jeder begriffen, der auf dem Rechner oder dem Smartphone Texte liest oder lesen muss. Es gibt eine Sehnsucht nach der völligen Versenkung in einen Text, die sich mit den Augen auf dem Bildschirm nicht einzustellen scheint. Für die Versenkung braucht es Zeit, Abgeschiedenheit, eine passende Sitzgelegenheit, im Winter eine Wolldecke und ein Glas Wein. Das sind zu viele Bedingungen für ein häufiges Gelingen. Letzten Monat las ich einen Artikel in der SZ, übertitelt mit „Schlag mich auf“. Es ist ein Plädoyer dafür, das Buch in die neue Lesekultur mitzunehmen, in dem man Bücher auch mal kursiv liest oder nur Abschnittsweise oder nur Satzweise, nur kurz daran zu nippen, um „den Ton und den Geschmack einer Sprache mitzubekommen“. Zu Ende lesen sei sowieso überbewertet. Aufgreifen werde ich in dem Artikel auch den Vorschlag, einzelne Textteile mit dem Handy zu fotografieren und sich einen digitalen Zettelkasten (Luhmann grüßt) anzulegen, in dem man gelegentlich herumstöbern kann, um wieder neugierig auf den gesamten Text zu werden.

Eine der Forschung entgangene Diskussion zwischen mir und Stephen R. Covey als Beispiel für den richtigen Umgang mit Büchern.
cof

Prozess II – Die Frau und die Katze

Ein weiteres Beispiel für einen Malprozess, in dem nicht alles gut ging. Ich schätze, es sind meistens anatomische Schwierigkeiten, die mich dazu bewegen, eine Stimmung über den Haufen zu werfen, obwohl die Stimmung eines Bildes nicht die Ursache meiner Schwierigkeiten ist. Der erste Entwurf ist in der Anlage der Komposition gar nicht verkehrt, aber eben nur Entwurf, den ich nicht durchhalte. Im zweiten Schritt wächst die Katze über ihre anatomischen Möglichkeiten hinaus. Im dritten Schritt entscheide ich mich, die Flächen zu beruhigen. Das wird wohl meiner eigenen Gemütsstimmung geschuldet gewesen sein. In der Anlage hätte ich das Bild weiter bearbeiten können und mich nur noch um die anatomischen Fehler kümmern müssen, als da wären: die fehlenden Beine der Katze und der nicht gut beobachtete Arm, auf dem der Kopf der Dame ruht. Der bleibt in der nächsten Version weiter unverändert, aber die Katze ändert ihre Haltung, damit sie wieder vollständig wird, nur sind die Vorderbeine zu kurz und ein Bein wird immer noch vermisst. Dann magert die Katze ab und die Dame erhält ein Gesicht, womit sich die Gewichtung der Komposition verschiebt, denn Gesichter ziehen immer den menschlichen Blick auf sich. Ausgerechnet der Kopf der Katze mit ihrem Blick in Richtung aus dem Bild hinaus und das Gesicht der Dame liegen direkt übereinander. Die Flucht in eine andere Maltechnik resultiert wohl aus der Hilflosigkeit. Plötzlich rückt das rote Kleid in den Vordergrund, die Katze legt sich schlafen und wird dabei fast ausgelöscht und es ist wieder viel Unruhe im Bild, obwohl beide Protagonisten offenbar schlafen. Am Ende gebe ich die perspektivische Berührung der beiden Körper, die im Ursprung angelegt war, leider auf. Den Arm, auf dem der Kopf ruht, habe ich nie in den Griff bekommen. Aber trotz der Schwächen hängen sie beide nun im Wohnzimmer schlafend nebeneinander und wenn man sich nicht an den Details aufhängt, ist es ein schönes Bild mit einer sich mir nicht erschließenden Präsenz.

(Öl auf Leinwand, 2014, ca. 60 x 80 cm)

Die Katze aus der Grellstraße

In Berlin gibt es den Stadtteil „Prenzlauer Berg“. Der ist ziemlich bekannt. Warum weiß ich auch nicht. Vielleicht, weil Käthe Kollwitz dort gelebt und gewirkt hat? Mitten in Prenzlauer Berg liegt die Grellstraße, auf deren Mitte ein Gebäudekomplex einst die Hauptverwaltung der Zollverwaltung der DDR beherbergte. Auf diesem Gelände befindet sich auch eine Kantine, die von Frau Mäthner betrieben wird. Ihr ist vor Jahren eine Katze zugelaufen. Frau Mäthner hat die Katze gefüttert, medizinisch versorgt und im Winter dürfte die Katze nachts in der Kantine übernachten. So hat sie mir das erzählt, falls ich mich recht erinnere. Im Sommer, wenn die Kantinengäste auf dem Hof speisen konnten, strich die Katze um die Beine der Essenden, unaufdringlich und charmant. In meiner Erinnerung hatte sie immer ein wenig struppiges Fell und leicht entzündete Augen. Und wenn ich es mir recht überlege, fehlte ihr ein Auge. Oder sie kniff es immer ein wenig zu. Der Legende nach war sie bereits an die zwanzig Jahre alt, als ich die Katze 2011 kennenlernte. Einen Namen hatte sie nicht. Sie war einfach nur Katze. 2012 habe ich sie dann gemalt. Am 8. September 2012 erfuhr ich, dass sie eingeschläfert werden musste. Seitdem waren die Arbeitstage weniger geschmeidig. Nach dem Tod der Katze habe ich überlegt, ob ich eines der beiden Bilder Frau Mäthner überlassen könnte, zum Beispiel als Dekoration und Erinnerung im Kantinensaal, oder für sie persönlich. Meine Einladung, sich die Bilder anzusehen, hat sie leider nicht angenommen. So hänge ich nun alleine über die beiden Bilder brütend meinen Erinnerungen nach an die Katze, die keinen Namen hatte.

Katzen und Künstler

Kaum eine Kerngruppe macht so viel Krach um seine Katzen wie Künstler! Hemingway hat seine Katzen von seinem Wein schlabbern lassen, Hesse ließ sich von seinem Kater bespringen und Lagerfeld machte aus seiner Katze eine Figur des virtuellen Aufruhrs. Das war für mich – selbst katzenhörig- Anlass für eine Serie, die steckengeblieben ist. Nur zwei Bilder sind fertig geworden nach meinen unerklärlichen Maßstäben (die ich mal mit mir selbst klären müsste, damit die Serie weitergehen kann). Ich stelle hier nicht nur die beiden abgeschlossenen Bilder, die sich auf Hesse und Hemingway beziehen vor, sondern auch die gescheiterten und liegengebliebenen Teile der Serie. Capote, Camus, Borges und ich.

Katzen – Kapitel 1

Warum Katzen? Ich lebe mit einer. Oder einem. Ich nenne ihn Camus. Welche Namen er noch führt, weiß nur er. Das Bild zeigt ihn. Im folgenden Dialog nenne ich mich K. Wie er mich nennt, weiß nur er. Was er will, ist meist eindeutig, wie dieser Dialog zeigt.

Es ist dunkel im Zimmer. K liegt im Bett und träumt ein Drama, das davon handelt, dass ihm trotz großer Anstrengung nicht der Begriff einfällt, der das Spiel von Licht und Schatten in der Malerei ausdrückt. Camus dagegen ist hellwach. K träumt, etwas kratze an ihm. Plötzlich ist er hellwach und greift sich an seinen Hals, und ergreift dort eine Katzentatze, deren Krallen sich gelinde an seiner Haut zu schaffen machen.
K (verschlafen mit belegter Stimme, den Kopf in das Kissen sinken lassend): Was soll das denn jetzt?
Camus schnurrt , die Augen halb geschlossen.
K schiebt die Pfote von seinem Hals weg und widmet sich dem Versuch wieder einzuschlafen.
Fast schon im Halbschlaf angekommen, der die halbseidenen Träume beschert, gewahrt er ein Wesen, das auf ihm tanzt. Es ist Camus, der auf Ks Bauch trampelt.
K (sein Ärger erwacht): Was soll das denn jetzt??
Camus: Ich tanze mein Problem!
K: Auf mir?
Camus: Du bist Teil des Problems!
K: Und du hoffst, der Lösung näher zu kommen, indem du es tanzt??
Camus: An dem Problem nur zu kratzen hat mich ja nicht weiter gebracht. Also versuche ich, dem Problem eine Gestalt zu geben.
K (wendet sich mit einem Blick des Stoßgebets der Zimmerdecke zu) : Großartig! Mein Kater ist auf dem Psychologie-Trip….
Camus tanzt umso nachdrücklicher.
K: Okay, lass uns über unsere Probleme reden!
Camus: Du hast auch ein Problem?
K: Ja! Es ist vier Uhr morgens und ein Alb mißbraucht meinen unschuldigen Bauch als Tanzfläche. Außerdem ist es Winter, es ist bitterkalt draußen, die Tage grau und ich weiß nicht, was ich mit meinem sinnlosen Leben anfangen soll.
Camus (bricht den Tanz ab und legt sich auf Ks Bauch, schaut ihn hoffnungsvoll und begeistert an): Wie schön! Unsere Probleme haben die gleiche Struktur! Es ist vier Uhr morgens und ich habe Hunger. Außerdem langweile ich mich und ich kann nicht raus gehen, weil in diesem unwirtlichen Land dieses weiße Zeug für meine Verhältnisse bauchhoch gefallen ist und ich mir das Fell ruiniere.
K (blickt erstaunt): Jetzt schaust du so wie Kate Winslet in dem Film ‚Zeiten des Aufruhrs‘, als sie ihrem Mann den Vorschlag unterbreitet, mit der ganzen Familie nach Paris auszuwandern….
Camus: Lass es uns wie Goethe machen!
K: Goethe hat viel gemacht. Er hatte zum Beispiel keine Katze, soviel ich weiß. Und er war ein schlauer Mensch….
Camus: Genitalien!
K: Was?
Camus: Wir hauen einfach ab in den Süden. Wir setzen uns ins Auto, lassen den Winter hinter uns und alles andere sowieso. Hinter den Alpen erwartet uns die Sonne und ein süßes Leben, Pizza für dich, sonnengebräunte Mäuse und Schmetterlinge für mich. Wir streifen durchs Land und finden das Glück!
K (seufzt): Ach…. Vielleicht hatte Goethe doch eine Katze? Und der wahre Grund für seine Abreise gen Italien war…Flucht vor diesem waghalsigen Wesen, das um vier Uhr morgens kratzt, tanzt und quasselt!
Camus: Na schön, dann anders. Vielleicht würde es ja genügen, wenn wir eine kleine Reise unternehmen?
K: Wohin?
Camus: In die Küche. Dort kredenzt du mir saltimbocca alla romana aus der Dose, suchst die Bälle und wirfst sie mir zu, damit ich sie erneut für dich verstecken kann. Dann will ich zufrieden sein und mich wieder mit dir schlafen legen.
K: Alora, auf gen Cucina!

Die schönen Jahre

„Die schönen Jahre in Britz“ hat meine Mutter neben die Fotos in eines der alten Familienalben geschrieben. Als ob es danach keine guten Jahre mehr gegeben hätte, in Britz nicht und auch sonst nicht. Ich weiß es nicht, aber ihre Worte klangen nach Vergangenheit und Wehmut, obwohl sie diesen Satz nicht lange Jahre später schrieb, sondern als sie just die Fotos in den frühen sechziger Jahren ins Album einfügte. Ich war zu dieser Zeit noch nicht geboren. 2012 nahm ich mir vor, Gerhard Richter nachzuahmen, indem ich alte Familienfotos als Vorlage herausssuchte, sie nachmalte und dann verwischte. Daraus entstand das erste Bild dieser Serie: meine Mutter im Badeanzug, den sie sich gerade an- oder auszieht in einem Gebüsch, vielleicht von meinem Vater aufgenommen. Der Effekt des Verwischens war trotz der Skizzenhaftigkeit des Bildes so beeindruckend, dass ich sofort an das zweite Bild ging, abgemalt von einem Foto, auf dem meine Großeltern nebeneinander in Liegestühlen sitzen und meine Großmutter meinem Großvater eine Flasche Bier reicht – wahrscheinlich im Schrebergarten in Britz! Ich kann mich diesem Effekt, den das Verwischen im Zusammenhang mit dem Eindruck eines Fotos hervorruft, nicht entziehen. Es ist als ob die Zeit über das Bild und die Erinnerung hinwegschrubbt, ja radiert und die endgültige Auslöschung schon andeutet, die eintreten wird, wenn alle Zeugen nicht mehr sprechen, alle Erzähler nicht mehr berichten können. Da aber das Verwischen des gesamten Bildraums einfach ist, versuchte ich im weiteren Verlauf der Serie zu variieren: Das dritte Bild zeigt meinen Vater ohne Verwischungen in der Dachgeschosswohnung in der Adalbertstr. in Berlin-Kreuzberg, wahrscheinlich 1963. Das vierte Bild meinen Großonkel Ernst, dessen genaue Verwandschaftsverhältnisse mir unklar sind, auf der Baustelle vor der Gedächtniskirche in den 50’er Jahren. Das vierte Bild zeigt meinen Großvater mütterlicherseits hinter dem Steuer eines Ford anlässlich der Hochzeit meiner Eltern. Der Ursprung des sechsten Bildes ist ein professionell erstelltes Foto meiner Eltern mit meinem Bruder, das bis zu dem Tod meiner Eltern in deren Schlafzimmer hing – und von dem es kein Pendant mit mir gibt, was mir erst auffiel, als ich das Fotos nahm, um es zu malen. Das siebente Bild zeigt meine Mutter mit ihrem Vater, meine Mutter noch blutjung (was bedeutet das eigentlich???), mit toller Frisur, neben dem Vater stehend und ihm die Hand auf die Schulter legend. Das fehlt in meiner Adaption des Fotos! In meinem Bild entsteht eine merkwürdige Schneise zwischen den beiden Körpern und eine Distanz in den Blickrichtungen, die ich nicht erklären kann, weil ich nicht mehr weiß, ob ich sie intendiert habe, aber just fällt es mir auf. DAs letzte Bild zeigt den Halbbruder meiner Mutter, Onkel Günther, betrunken auf einer Familienfeier deklamierend in der DDR. Nur was hat er gefeiert, ausgerufen oder gefordert? Seinen Bruder, der das Grundstück von meinem Großvater geerbt hat, habe ich nie gemalt. Die Fotos von Heinz waren zu uninteressant.

Seestücke

Das erste Bild in der Reihe entstand im Oktober 2011 auf meiner ersten Malreise an die Ostsee nach Ahrenshoop. Seitdem war ich immer wieder im Herbst dort. Viele Bilder, die 2011 enstanden, haben dem kritischen Blick nicht Stand halten können. Ich habe sie 2018 als Material wieder in den Kreislauf gegeben und übermalt. Nur das eine hängt noch heute. Das wundert mich immer wieder, da ich die Farbe mit Spachteln nur auf der Leinwand verteilt habe. Manchmal entsteht etwas ohne den Kopf zu bemühen – einfach nur aus dem Gestus.