Alle meine Geister – Felle

Es gibt Gegenstände, die aufgeladen sind. Andere Dinge sind leer. Beispielsweise die Plastikflasche mit Mundwasser, obwohl sie noch Inhalt hat. Doch das ist der intendierte Inhalt: Mundwasser. Die aufgeladenen Gegenstände haben etwas akkumuliert, das außerhalb ihres Zweckes liegt. Oft liegen sie im Verborgenen, spannungslos, bis eine mentale Anode an ihre Kathode gehalten wird. Die Füchse. Gegen Ende der Lektüre von Uwe Timms „Alle meine Geister“ erinnerte ich mich schlagartig an die Fuchsstolas, mit denen ich als Kind gekuschelt habe.

Woher kamen sie, wessen waren sie, warum gab man sie dem Kind? Erinnerung: das Fell war interessanter und weicher – echter – als meine Kuscheltiere. Zwar blickten die Füchse mit ihren Plastikaugen ebenso seltsam kalt in die Welt wie die Steiff-Tiere, aber es umgab sie eine Aura der Echtheit, des Gewesenen, des Gelebten und nicht des Konstruierten. Im Gegensatz zu den Pelzmänteln meiner Mutter, die ich aus Scham in die Altkleidersammlung gab, weil sich Pelze nicht mehr gehören, sind diese Füchse erhalten geblieben, im Asyl des Kartons meiner Kuscheltiere, der bis heute in der Dachkammer steht.

Urlaub 1982 an der Nordsee mit den Eltern. Ein weiterer Geist: eine Robbe im Kleinformat. Kuscheln wollte ich mit der kleinen Robbe. Meine Erinnerung nach gab es zwei Robben aus echtem Seehundfell. Wo blieb die andere Robbe?

Er wollte sich „dem Lebens des genauen Wahrnehmens und der Aufmerksamkeit, die […] das natürliche Gebet des Seele sei, verschreiben um in Wahrheit mit ihr zu leben. “ (Uwe Timm: Alle meine Geister, Seite 90). Ist das der Grund, warum ich versuche, vergangenes oder potentiell bald gelebtes Leben festhalten, zu erinnern. Ist das nicht der ursprüngliche Sinn der Fotografie wie der Malerei wie des Schreibens?

Diese Maus lebt nicht mehr. Ich hatte ihr eine Falle gestellt, sie verführt mit Käse. Sie hatte sich zu weit vorgewagt bis an den Mülleimer in der Küche und dort nächtliche Schmause gehalten. Nun setzt der Mörder ihr ein virtuelles Denkmal, um dem Tod einen vermeintlichen Sinn zu geben. Denn wer wird damit getröstet? Die Maus sicher nicht. Wie kann ein totes Wesen so niedlich daher kommen – so auch die Robbe und die Füchse.

Das Stichwort Felle spült die Fotos dieses Tieres in diesen Beitrag.

Woran erkennen wir die Lebendigkeit dieses Tiers? Am letzten Foto.

5 Kommentare zu „Alle meine Geister – Felle

  1. Ich kann mich auch an so einige Geister erinnern, die mir jetzt ein schlechtes Gewissen machen. Es ist eine Sache, wenn man zum Überleben Tiere erlegen muß und deren Felle in Kleidung verwandelt. Doch für die meisten von uns gibt es heutzutage keinen Grund, ausgestopfte Tiere oder deren Felle als Dekoration oder als sogenannte Mode zur Schau zu stellen. Am liebsten sind mir lebendige Tiere, so wie das bezaubernde Eichhörnchen.

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